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Bericht von der Kuschelparty am 19.11.10
veröffentlicht auf www.zeitjung.de am 07.03.11

 

Das Ende der Einsamkeit

Kuschelpartys in München

Kuscheln, knuddeln, streicheln: Auf Kuschelpartys schmusen wildfremde Menschen - ganz ohne Sex.

Stell dir vor: Du wirst ertastet. Fremde Finger erkunden deinen Körper. Und du tastest selbst. Zaghaft streichelst du Hände, Zehen; wirst mutiger, berühst Rücken, Bäuche und Köpfe. Der Schauer setzt ein. Das Verlangen nach Berührung wird stärker, ein angenehmes Gefühl breitet sich aus.

Wie du bereits weisst, bist du nicht allein. Um dich herum liegen 25 Menschen auf gelben, orangen und roséfarbenen Turnmatten. Sie alle sind engumschlungen. Das Licht ist gedämpft, nur ein paar LED-Ketten leuchten. Die Stimmung ist wohlig und schlaftrunken. Ein Mann stöhnt, es klingt nach Genugtuung.

Keine Szene aus "Die 120 Tage von Sodom"

Keine Angst: Du bist nicht Teil einer Szene aus Pier Paolo Pasolinis „Die 120 Tage von Sodom“. Du bist in einem Tanzstudio mit Dielenboden und einer verspiegelten Wand. Normalerweise lernen Kinder und Erwachsene hier Jazz- und Showtänze, aber an diesem Freitagabend liegen die Dinge ein bisschen anders.

Eine der Teilnehmerinnen, sie heißt Annika, erzählt: „Eigentlich wollte ich auf ein Tantraseminar.“ Und so ähnlich dürften auch deine Gedanken im Moment sein, oder?

Annika, 26, sieht ein bisschen aus wie Kristen Stewart, die Hauptdarstellerin aus den Twilight-Filmen. Sie ist hier, weil sie einen neuen Umgang mit Körperkontakt lernen möchte. Ihr Freund führt eine offene Beziehung, weswegen Annika nun lernen will, sich auf Nähe einzulassen, die nichts mit Beziehungen zu tun hat.

Es ist einer der möglichen Gründe, warum Menschen hierherkommen. Die anderen heißen: Neugier, Einsamkeit, möglicher Singletreff, Unverbindlichkeit, Genuss und Zärtlichkeit. Sie alle führen ins Herz des Münchner Szenebezirks Schwabing - auf eine Kuschelparty.

Unglücklich übersetzt

Bitte, was? Eine Kuschelparty? „Unglücklich übersetzt“, erklärt Kuschelmeister Gerhard, der sonst ähnliche Treffen leitet, heute aber nur Teilnehmer ist. „Aber wie soll man es denn stattdessen nennen?“ Ihren Ursprung hatte die Szene in New York, wo 2004 die erste „Cuddle Party“ stattfand.

Bereits ein Jahr später folgten die ersten Veranstaltungen in Berlin und München. Allein in der bayrischen Landeshauptstadt gab es zwischenzeitlich vier Anbieter, bei denen man wahlweise auf Matten und im Wasser kuscheln kann, bei denen gerauft oder getanzt wird.

Auch an diesem Abend beginnt die Kuschelparty mit Tanz. Es erklingt Ethno-Musik, die aus dem Auenland stammen könnte, der Heimat der Hobbits, und nach der sich die Teilnehmer bewegen sollen. Das Motto dabei gleicht dem Refrain des Neue Deutsche Welle-Hits „Major Tom“ von Peter Schilling: „Völlig losgelöst, von der Erde.“

Sofort wird deutlich, wer schon öfter hier war und sich dementsprechend gehen lässt, und wer stocksteif dasteht und mit dem eigenen Schamgefühl kämpft. Ralf, einer der männlichen Teilnehmer, verweigert sogar die vollen folgenden 40 Minuten jede Form von Tanzbemühungen.

Abwegiges Wellness-Programm

Nach dem Tanzen besteht die Aufgabe darin, wahllos vor einem anderen Teilnehmer innezuhalten und ihm ein Kompliment zu machen. Was sagt man da? Hübsches Lächeln, starke Ausstrahlung, tolles Körpergefühl? Viele der Antworten lauten so, sie sind Balsam für den Teil der Seele, der Selbstwertgefühl heißt.

Vielleicht soll gerade dieser Part bewusst machen, dass eine Kuschelparty keine „normale“ Party, kein Esoterik-Seminar und kein Swinger-Club-Besuch sein soll, sondern ein Ort der Zufriedenheit - ein etwas abwegiges Wellness-Programm, bei der man keine Reflexzonenmassage bekommt, sondern zusammen einem schamanisches Mantra lauscht und sich etwas wünschen soll. Das Ende der Einsamkeit, zum Beispiel.

Vermittlungsquote änlich wie bei anderen Single-Veranstaltungen

„Als ich das erste Mal hierherkam, war ich so ausgehungert nach Nähe, dass mir die Tränen kamen“, erzählt die 49-jährige Cornelia. „Doch dann zu spüren: Ich kann noch fühlen - das war überwältigend.“ Heute lebt die Bürokauffrau wieder in einer Beziehung, ihren Freund hat sie auf einer Kuschelparty kennengelernt.

Eine Ausnahme ist Cornelia damit nicht, die Vermittlungsquote der Kuschelpartys ist ähnlich hoch wie auf anderen Single-Veranstaltungen, schätzt Kuschelmeister Gerhard. „Der Unterschied ist nur, dass bei uns jeder zufrieden rausgeht.“

Wie viele Singles es in Deutschland gibt, lässt sich nicht exakt beziffern, nur einkreisen. In den letzten Jahren wurden jeweils rund 200.000 Ehen geschieden, und in fast 40 Prozent der Haushalte lebt nur eine Person - Tendenz steigend.

Jeder einzelne dieser Menschen sehnt sich nach Zuneigung, doch in unserer Gesellschaft existiert Nähe nur in Kombination mit Beziehungen. „In Deutschland gibt man sich die Hand, oder man geht ins Bett - dazwischen gibt’s nichts!“, so Gerhard, der hauptberuflich als Unternehmensberater tätig ist. „Wir probieren die Lücke dazwischen zu füllen.“

Vorbehalte durch Missbrauchsskandal

Doch die Vorbehalte sind groß. „Die typische Antwort auf die Frage, ob man zu einer Kuschelparty gehen würde, lautet: Ich kann mir das nicht vorstellen.“ Kuscheln sei für die meisten das, was vor und nach dem Sex passiere, sagt der 51-jährige. „Die Leute reden sich ein: ‚Das hab ich nicht nötig‘ und belügen sich selbst damit.“ Doch neben den persönlichen, gibt es auch gesellschaftliche Vorbehalte.

Nach den Missbrauchsskandalen am Berliner Canisius-Kolleg und der Odenwaldschule hat das Thema Nähe eine neue Brisanz bekommen. Gerhard, der neben den Kuschelpartys auch „Raufen für Kinder“ veranstaltet, spürt das immer öfter.

„Neulich wollte mich vor dem Raufen ein sechsjähriges Mädchen umarmen, weil sie sich freute, mich zu sehen. Und was macht der Sozialarbeiter der Einrichtung? Ermahnt sie sofort: ‚Du darfst nicht auf fremde Männer zugehen‘“.

20 Euro Teilnahmegebühr

Bereits im Kindesalter würden wir so unseren Kindern eintrichtern fremde Menschen nicht zu berühren, so der Kuschelmeister, obwohl der Körper das Bedürfnis nach Zuneigung aussende. Es ist genau das, was Annika wieder lernen wollte, als sie sich für die Kuschelparty anmeldete und die 20 Euro Teilnahmegebühr zahlte.

Nun liegt sie auf den Matten. Im Hintergrund läuft reduzierter Chanson, überall wird bereits ausgelassen gekuschelt. Es gibt mehrere Pärchen, ein dreier Grüppchen und einen großen Haufen. Annika wird mit Cornelia kuscheln und mit Gerhard. Auch mit Klaus, der mit seinen siebzig Jahren der Älteste in der Runde ist. Sie alle mögen aus unterschiedlichen Gründen hierhergekommen sein, doch sie alle genießen die Zuneigung. Für viele wird es nicht die letzte Kuschelparty gewesen sein.

Für Kuschelmeister Gerhard sowieso nicht. Er wird auch Heiligabend hier verbringen, eine Familie hat er nicht. Stattdessen wird er Weihnachten mit Gleichgesinnten verbringen. Oft seien dies Menschen, die sich bewusst gegen ihre Familie entscheiden, weil es dort nur Streit gäbe. „Wir feiern hier das wirkliche Weihnachtsfest, das Fest der Liebe“, sagt er. Gerhard hat hier eine neue Familie gefunden, in der Abweisung oder gar Streit sehr selten sind - die Welt der Kuschelpartys.